HumanCare Austria

Das Moken / Moklen Projekt in Thailand (Koh Phratong, 2005)

Verwendung der Erlöse aus der Tsunami-Benefizgala in Wien

Um der Solitarität der Wiener mit den Überlebenden des Tsunami vom 26. Dezember 2004 aktiv Ausdruck zu verleihen, fand am 29. April 2005 im grossen Festsaal des Wiener Rathauses eine Benefizgala zugunsten der Opfer in Südostasien statt. Die Veranstalter waren: Museum für Völkerkunde, Österreichisch-Thailändisches Komitee, Österreichisch-Indonesische Gesellschaft, Österreichisch-Sri Lankische Gesellschaft, Österreichisch-Indische Gesellschaft, IOV / Unesco "Friedensprojekt"

Der aliquote Reinerlös der Benefizgala für die Opfer in Thailand war für die ethnische Minderheit der Moken/Moklen auf der Insel Ko Phrathong (Provinz Phang Nga) vorgesehen. Die Hilfsgelder sollten dabei nicht bloss anonym auf das Konto einer grossen Hilfsorganisation überwiesen werden, sondern direkt und persönlich betroffenen Familien übergeben werden. Auf diese Weise sollten einerseits die begrenzten Mittel zielgerichtet eingesetzt werden und andererseits die Solidarität mit den Menschen betont werden: Wir wollten zeigen, dass hier nicht anonyme Organisationen namenlose Opfer einer Naturkatastrophe unterstützen, sondern dass konkret viele Menschen aus Wien in Not geratenen Menschen in Südwestthailand persönlich helfen wollen.

Zur Umsetzung dieser Aufgabe war es erforderlich, sich ein möglichst detailliertes Bild der Situation vor Ort zu verschaffen. Im August (2005) konnten wir bei einer Reise in die Region einen Überblick zur aktuellen Situation rund um die Insel Ko Phratong gewinnen. Dabei zeigte sich, dass die betroffenen Menschen in der Region um Takuapa sieben Monate nach der Flutkatastrophe zum grossen Teil noch immer in Flüchtlingslagern leben müssen. Diese werden entweder von grossen internationalen Hilfsorganisationen (z.B. "World Vision"), von staatlichen Institutionen (z.B. der thailändischen Armee oder königlichen Stiftungen) oder von lokalen religiösen Zentren (Buddhistischen Klostertempeln "Wat") betreut.

In der Küstenregion boomt die Bauwirtschaft, neue Strassen wurden gebaut, und am Strand bei Takuapa ist z.B. ein neues "Fischerdorf vom Reissbrett" vor der Fertigstellung - eine Ansammlung gleichartiger würfelförmiger Betonhäuschen ohne dörfliche Struktur. Gespräche mit Flüchtlingen bzw. Evakuierten in unterschiedlichen Lagern haben gezeigt, dass (soweit wir feststellen konnten) allen Personen in diesen Barackenlagern solche neuen Häuser versprochen worden sind und sie bis zur Fertigstellung dieser Häuser auf Wartelisten eingetragen sind.

In den meisten dieser Lager sind auch kleine Bootswerften entstanden, wo kontinuierlich Fischerboote gebaut werden. Die Kapazitäten dieser "Bootsbauwerkstätten" sind zu 100% ausgelastet. Die Finanzierung der Bootsbauproduktion scheint (wie uns mehrfach versichert wurde) durch Spenden von grossen Firmen und Hilfsorganisationen gesichert zu sein, ist aber hinsichtlich der Geschwindigkeit der Produktion durch die Anzahl der verfügbaren Facharbeitskräfte begrenzt. Insgesamt scheint die Situation ähnlich wie bei den Hausbauten zu sein - Standardauskunft aller befragten Personen in den Flüchtlingslagern war, dass all jenen Personen, die ihre Fischerboote durch den Tsunami verloren haben und weiter Fischfang betreiben wollen, bereits Boote zugesagt wurden und sie auch auf entsprechenden Wartelisten eingetragen sind.

Bei der Fertigstellung der Häuser und Boote sowie bei deren Ausstattung mit Fischereiausrüstung oder anderen Gütern kommt es jedoch immer wieder zu erheblichen Verzögerungen. Eine Ursache dafür ist das Phänomen der Korruption, das in der Region durch den plötzlichen Fluss grosser Summen Hilfsgelder explodiert ist. Es wurde uns von verantwortlicher Seite vor Ort glaubwürdig versichert, dass es fast schon die Regel ist, dass von in Bangkok genehmigten und zugesagten Hilfsgeldern nur etwa 40% bei den Betroffenen in den Flüchtlingslagern ankommen, während 60% der Gelder am Weg von Bangkok in die betroffenen Provinzen in den zwischengeschalteten, hierarchischen Ebenen und Institutionen verschwinden.

Ein anderer Problemkreis betrifft die Landrechte und Zwangsumsiedlungen der nach dem Tsunami evakuierten Menschen, im Besonderen die von Ko Phrathong. Den Bewohnern der drei vor der Flutkatastrophe auf der Insel bestehenden Fischerdörfer ist bis heute die Rückkehr auf die Insel Ko Phrathong verwehrt. Die meisten dieser Personen siedelten (z.T. seit Generationen) ohne formellen Landtitel in ihren Fischerd&öuml;rfern. Die Zerstörung dieser Dörfer und die Evakuierung der Menschen ans Festland war für eine andere Gruppe von bestimmten Personen mit Macht, Geld und scheinbar auch z.T. mit formellen Landrechten eine einmalige Gelegenheit, eine gewinnträchtige Neunutzung der so gesäuberten Strände insbesonders durch Tourismusprojekte (ev. auch unter dem Deckmantel eines in Überlegung stehenden Nationalparks) zu planen. Diese Auseinandersetzung um den künftigen Status der Insel ist noch nicht endgültig entschieden, gleichwohl die mittellosen und machtlosen Fischer in ihren Flüchtlingslagern kaum in der Position sind, diesen Kampf für sich zu entscheiden. Vollendete Tatsachen wurden und werden insbesonders auch dadurch geschaffen, dass die neuen Häuser, die man für Menschen von Ko Phrathong plant bzw. baut, sich am Festland befinden. Die Moklen/Moken und andere ehemalige Küstenfischer sollen nun an Flussläufen angesiedelt werden, ganz so, als ob ein Leben am Meer und ein Leben von dessen Produkten durch ein Leben an einem Fluss und seine Erträge ersetzbar wäre.

Die Mehrzahl der von der Insel Ko Phrathong evakuierten Personen wurden in zwei Flüchtlingslagern in Kura Buri untergebracht. Eines dieser Lager befindet sich beim Hafen bzw. Pier und das andere auf dem Gelände des Samakhitham Tempels. Das Barackenlager beim Pier wird von einer königlichen Stiftung sowie auch vom "North Andaman Tsunami Relief" betreut. Das andere Flüchtlingslager beim Tempel wird ebenfalls von der königlichen Stiftung unterstützt, hat aber auch finanzielle Hilfe von einer Gruppe ausländischer Residenten in Phuket erhalten.

In dem letztgenannten Lager waren auch die Moken von der Insel Ko Surin untergebracht, die jedoch schon vor Monaten wieder auf Surin-Island zurückkehren konnten. Die Moken von Ko Surin waren eine Zeitlang im Mittelpunkt des Interesses nationaler und internationaler Medien gestanden: Eine scheinbar instinktive Fluchtreaktion hatte dazu geführt, dass sie durch den Tsunami keine eigenen Todesopfer zu beklagen hatten, und darüber hinaus hatten sie auch einer Anzahl von Touristen das Leben gerettet. Die Folge davon war einerseits, dass ihr Rückkehrwunsch auf Surin-Island erhört wurde, andererseits aber auch, dass nun ein Dutzend (!) Hilfsorganisationen die kleine - nur 160 Personen umfassene - Gruppe der Surin-Moken mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen von Entwicklungshilfe massiv bedrängt. Da diese Hilfsgruppen keinerlei Wissen um die kulturellen und sozialen Besonderheiten dieser ethnischen Minderheit hatten und sie zudem unkoordiniert und z.T. einander konkurrierend in das Leben dieser Menschen eingegriffen haben, sind die negativen Auswirkungen dieser Art von Hilfe deutlicher zu erkennen als die positiven Auswirkungen. Die Moken (als bisher sprachlich, kulturell und sozial eigenständige ethnische Gruppe) sind seit dem Tsunami einem extrem verstärkten Assimilationsdruck in die nationalstaatliche Kultur ausgesetzt. Der Transfer von grösseren Geld- und Sachspenden (z.B. Produkte der modernen Konsumgesellschaft, wie etwa TV-Geräte und DVD-Player) und deren ungleichmässige Verteilung haben zu einer massiven Störung der traditionellen Lebensweise geführt. Die chaotischen Hilfsaktionen haben die Moken auf Ko Surin entmündigt und die soziale Ordnung auf den Kopf gestellt.

Um diese Situation auf den Surin Inseln nicht weiter zu verschärfen, hatten wir schon im Vorfeld beschlossen, mit den uns zur Verfügung stehenden Hilfsgeldern den weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Moken/Moklen auf der Insel Ko Prathong zu helfen. Unsere Gespräche und Recherchen vor Ort mit den Menschen in den beiden oben genannten Flüchtlingslagern in Kura Buri haben letztlich zu der Entscheidung geführt, die aus der Benefizgala zur Verfügung stehenden Hilfsgelder für die Flüchtlinge im Samakhitham Tempel zu verwenden.

Das Lager befand sich zum Zeitpunkt unserer Visite (August 2005) in einer finanziell angespannten Lage. Nicht nur der Bau von neuen Häusern für die Tsunamiopfer war ins Stocken geraten, sondern auch die Versorgung der Flüchtlinge mit Strom und Lebensmitteln war mittelfristig nicht mehr gesichert. Für diese Situation waren zwei Ursachen verantwortlich, einerseits der korruptionsbedingte Schwund von Hilfsgeldern aus Bangkok, andererseits hatte es auch seit bereits vier Monaten keinerlei Spenden mehr aus internationalen Quellen für dieses Lager gegeben. Zu unserer Entscheidung hat auch der Umstand beigetragen, dass sich die Menschen dieses Flüchtlingslagers (wegen der durch diese finanziellen Probleme bedingten Verzögerungen bei der Rückkehr zu einem halbwegs normalen Leben) z.T. in einer resignativen und allgemein schlechten psychischen Verfassung befanden.

Des weiteren zeigte sich, dass es eine Personengruppe mit besonders gefährdeten Zukunftschancen gab: Es war eine Gruppe von Frauen, die ihre Ehemänner (und damit ihren Unterhalt) beim Tsunami verloren hatten. Diese Frauen hatten Kinder und andere (erwerbsunfähige) Familienmitglieder zu versorgen, konnten aber - wegen des Verlustes ihrer Männer - nicht mehr zum Fischfang als Grundlage ihres Haushaltseinkommens zurückkehren. Diese Frauen mit ihren überlebenden Restfamilien benötigten eine neue Existenzgrundlage. Alternative Einkommensquellen waren jedoch in den Hilfs- und Wiederaufbauplänen für die Fischerfamilien von Ko Phrathong nicht vorgesehen. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, nicht nur solchen Familien zu helfen, die wieder zum Fischfang zurückkehren wollen, sondern auch einigen dieser verzweifelten Frauen und ihren Angehörigen (trotz der Tatsache, dass diese Gruppe nicht der ethnischen Minderheit der Moken/Moklen angehörten!).

Da sich (wie bereits oben erwähnt) der ursprünglich geplante Ankauf von Fischerbooten als nicht sinnvoll herausgestellt hat, haben wir den betroffenen Moken/Moklen-Fischern die Möglichkeit gegeben, in einer Ratsversammlung selbst über die Verwendung der Hilfsgelder aus Wien zu entscheiden. Nach ausführlichen Beratungen haben sich die Moken/Moklen für den Ankauf von Fischereiausrüstung entschieden. Diese Ausrüstung war ihnen schon von verschiedener Seite seit Monaten versprochen worden, aber sie hatten sie nie erhalten. Ohne diese Ausrüstung konnten diese Fischer jedoch ihre traditionelle Erwerbstätigkeit bisher nicht wieder aufnehmen.

Die zur Verfügung stehende Summe von 217.000 Bath wurde somit letztlich nach folgendem Schlüssel aufgeteilt:

100.000 Bath für Fischereiausrüstung,
100.000 Bath für Existenzneugründung von Witwen,
17.000 Bath für den Samakhitham Tempel - um Lebensmittel- und Stromrechnungen für das Flüchtlingslager bezahlen zu können.

Wir danken allen Sponsoren, ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitveranstaltern, sowie allen Besuchern der Benefizgala welche diese Hilfe für die leidgeprüften Menschen von Ko Phratong ermöglicht haben.





HumanCare (ehemals Österreichisch-Thailändisches Komitee)


Benefizgala Wien 2005